Immer mehr Menschen ohne Bleibe

607.000 Wohnungslose gab es 2022 in Deutschland

Die Bundesregierung hatte sich eigentlich vorgenommen, die Wohnungslosigkeit bis 2030 zu überwinden. Doch die aktuellen Zahlen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW) weisen in eine andere Richtung: Demnach ist nämlich die Zahl der wohnungslosen Menschen in Deutschland im vergangenen Jahr deutlich gestiegen. Das lag vor allem am Zuzug von Menschen aus der Ukraine, die vor dem Krieg in ihrem Land geflohen sind. Im Verlauf des Jahres 2022 waren in Deutschland 607.000 Menschen ohne eigene Unterkunft, teilte die BAGW am Mittwoch auf Grundlage eigener Hochrechnungen mit. Das waren im Jahresvergleich deutlich mehr als 2021, als 383.000 Wohnungslose gezählt wurden.

Bei Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit gab es mehr als doppelt so viele Betroffene innerhalb eines Jahres. Denn als »wohnungslos« werden in der Statistik auch jene gezählt, die in Flüchtlingsheimen untergebracht sind. Aber auch bei den deutschen Wohnungslosen stieg die Zahl der Betroffenen um fünf Prozent. Noch zeigt also das Bemühen der Bundesregierung, die Wohnungslosigkeit einzudämmen, keine Wirkung.

Werena Rosenke, Geschäftsführerin der BAGW, sieht als Grund für den Anstieg der Zahlen vor allem die wirtschaftlich schwierige Situation: »Inflation, gestiegene Kosten und steigende Mieten belasten einkommensschwache Haushalte in Deutschland.« Dies führe zu Armut, Mietschulden und Wohnungsverlust. »Besonders gefährdete Gruppen sind einkommensarme Ein-Personen-Haushalte, Alleinerziehende und kinderreiche Paare.«

nd.DieWoche – unser wöchentlicher Newsletter

Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.

Die Daten der BAGW zeigen bei Wohnungslosen mit deutscher Staatsbürgerschaft verschiedene Ursachen für die Wohnungslosigkeit: 57 Prozent der Betroffenen verloren die Wohnung aufgrund einer Kündigung. Weitere wichtige Auslöser waren mit 21 Prozent Miet- und Energieschulden, mit 20 Prozent Konflikte im Wohnumfeld sowie mit 16 Prozent Trennung oder Scheidung. Nichtdeutsche Wohnungslose hätten mehrheitlich in Deutschland noch nie eine Wohnung gehabt. Der Hauptauslöser ist ihre Flucht.

Der fehlende bezahlbare Wohnraum bleibe nach wie vor der Hauptgrund für die Wohnungsnot in Deutschland, erklärte Rosenke. »Deutsche wie nichtdeutsche Wohnungslose können daher nicht angemessen mit eigenem bedarfsgerechten Wohnraum versorgt werden.« Durch das Auslaufen von Sozialbindungen bei gleichzeitig niedrigen Neubauraten sinke der Anteil der verfügbaren Sozialwohnungen dramatisch. Nach Berechnungen der BAGW habe es 1989 noch mehr als 1,8 Millionen Sozialwohnungen gegeben, jetzt dagegen nur noch 1,09 Millionen.

Mit 100.000 Sozialwohnungen pro Jahr, wie es die Ampel-Regierung versprochen hat, könne dem Mangel an bezahlbaren Wohnungen nicht ausreichend gegengesteuert werden, meinte Rosenke. Zusätzlich zu den Sozialwohnungen würden weitere 100.000 bezahlbare Wohnungen benötigt. Entstanden seien in den letzten Jahren allerdings jeweils nur etwa 25.000 sozialgebundene Wohnungen, »die nicht einmal das Abschmelzen des Sozialwohnungsbestandes durch Auslaufen der Bindungen kompensieren können«, erklärte Rosenke. »Deswegen muss die Bundesregierung die Neue Wohngemeinnützigkeit jetzt einführen.« Angekündigt hatte sie das bereits beim Wohnungsgipfel im Kanzleramt.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal